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“Hören Sie zu und setzen Sie sich für uns ein, das ist Ihre Aufgabe”

Der Landesverband Hauskrankenpflege Sachsen-Anhalt, fordert in einem offenen Brief an die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), dazu auf, sich für die ambulanten Pflegedienste einzusetzen.

Foto: privat Florian Wend ist Vorstandsvorsitzender des Landesverbands Hauskrankenpflege Sachsen-Anhalt

Hier lesen Sie den offenen Brief an Claudia Moll in voller Länge:

 

“Sehr geehrte Frau Moll,

Die Situation in der Pflegebranche ist so katastrophal wie noch nie. Es wird viel diskutiert, aber alle Diskussionen und Warnungen bleiben fühlbar ungehört, da Pflege keine Lobby hat!

Da ein einheitlicher Tarif für die Pflegebranche scheiterte, nimmt der Gesetzgeber bewusst eine „Hintertür“ über das GVWG, was private Anbieter von Pflegeeinrichtungen per Gesetz verpflichtet, sich ans Entlohnungsgefüge eines Tarifvertrages anzulehnen oder ein ortsübliches Entgelt zu zahlen.

Die Folge, im Bereich der Pflegeversicherung wurden Gehälter der Mitarbeiter in der Pflege zum September 2022 massiv angehoben. Eine weitere, nicht vorhersehbar hohe Steigerung folgte im Februar 2023 (in Sachsen- Anhalt um 10,2%). Wir sind uns einig, eine leistungsgerechte Entlohnung der Pflegebranche war überfällig. Aber dass die Erhöhung ausschließlich durch die Pflegebedürftigen getragen wird, ist unrecht! Pflege geht uns alle an!

Gesteigerte Pflegesachleistungen im ambulanten Bereich und eine jahresabhängige Reduzierung des Eigenanteils stationär deckt leider nicht einmal die Refinanzierung der Ausbildung.

Pflegebedürftige im stationären Bereich können die gestiegenen Eigenanteile nicht mehr zahlen und im ambulanten Bereich bekommen diese weniger Leistungen für ihr Geld. Wer Leistungen wie bisher abrufen möchte, zahlt drauf! Dazu Mehrkosten für Strom, Gas, Lebensmittel und Miete. Pflegebedürftige in diesem Land können sich Pflege, die sie brauchen, nicht mehr leisten, ohne den Gang zum Sozialamt anzutreten, obwohl sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Es macht wütend zuzusehen, dass den Betroffenen am Ende des Lebens nichts mehr bleibt.

Anbieter von Pflegeeinrichtungen müssen Klienten die höheren Kosten in Rechnung stellen, und dass in einer Branche, die von Menschlichkeit und Empathie geprägt sein sollte.

Wir fordern adäquate Anpassung der Pflegesachleistungen im ambulanten und eine erkennbare und nicht an Jahre gekoppelte Deckelung der Eigenanteile im stationären und teilstationären Bereich.

Den Pflegebedürftigen eine Stimme zu geben, dafür wurde die Stelle der Pflegebevollmächtigten geschaffen. Laut Amtsbeschreibung tritt die Pflegebevollmächtigte für die Interessen der Pflegebedürftigen im politischen Raum ein und sorgt dafür, dass deren Belange im Mittelpunkt des Pflege- und Gesundheitssystems stehen.

Jetzt ist es an der Zeit Ihre Pflicht zu tun! Sie müssen jetzt handeln, sonst droht unseren Pflegebedürftigen eine pflegerische Unterversorgung. Was braucht es noch, um endlich aufzuwachen!

Sie sind Ansprechpartnerin für alle Pflegebelange, also sprechen Sie unsere Probleme endlich lautstark an, dafür wurden Sie von uns in Ihr Amt berufen!

Obwohl private Anbieter von Pflegeeinrichtungen den Mitarbeitern nachweislich höhere Entgelte zahlen, ist die Refinanzierung durch Kostenträger eine Katastrophe. Pflegesatzverhandlungen gleichen einem Basar, was akzeptiert wird, ist gefühlt vom jeweiligen Bearbeiter abhängig. Dieses Vorgehen bindet unnötige Ressourcen und fordert Pflegeeinrichtungen enorme Kräfte ab. Hoher Verwaltungsaufwand wird nicht refinanziert! Dabei ist die Zahlungsmoral einiger Kranken- und Pflegekassen ein Desaster. Der „gefühlten“ Hoheitsgewalt der Kostenträger bietet niemand Einhalt!

Hier ist der Gesetzgeber in der Pflicht, denn die Kostenträger sind zur Refinanzierung gesetzlich verpflichtet. Wer kontrolliert die Einhaltung dieser Pflicht?

Problematisch ist auch der HKP- Bereich, wir Verbände stehen hier vor großen Problemen bei der Refinanzierung der Entgelte. In Sachsen-Anhalt laufen die SGB V-Verhandlungen mit den Kostenträgern seit Jahren wiederholt auf kräftezehrende Schieds- und Gerichtsverfahren hinaus. Gesetzlich geforderte fachliche Qualifikation der Pflegekräfte steht der Blockade der Refinanzierung durch die Kostenträger mit dem Argument: „die Kassen sind leer“ gegenüber.  Es bedarf hier einer dringenden Reform, deren Umsetzung schnell erfolgen muss, nur so kann die Zukunft von Pflegediensten gesichert werden!

Wir fordern die Umsetzung einer solidarischen, echten Pflegereform! Versprechen zu Wahlen sind schnell gemacht- aber die Einhaltung?

Die neuen Reformpläne 2023 sind im Ergebnis eine herbe Enttäuschung und nur ein Flicken mehr auf dem Teppich der Reformierung der Pflegebranche.

Das Problem Fachkräftemangel ist seit Jahren bekannt, es wird versucht mit Schnellschüssen an ständig neuen Gesetzen und Anordnungen die Misere zu beheben, aber auf wessen Kosten? Zumal zum Teil schon die Umsetzung scheitert.

Beteiligt Leistungserbringer mit praktischen Erfahrungen bei Gesetzen, Verordnungen und sonstigen wichtigen Vorhaben mit Pflegebezug. Lasst Praktiker zu Wort! Das System muss mit den Menschen neu gedacht werden, die an der Basis sind und die Reformen zum Wohl der Pflegebedürftigen umsetzen müssen.

Frau Moll, wir laden Sie nochmals herzlich nach Sachsen-Anhalt ein, sprechen Sie mit uns, schauen Sie den Menschen, welche pflegen ins Gesicht! Nehmen Sie deren Ängste und Nöte wahr, denn es sind Menschen mit ihrem „Lebenswerk“, deren Existenz bedroht ist.

Sie haben jahrelang wertvolle Arbeit geleistet und Pflegebedürftige versorgt, auch wenn nach Aussage von Herrn Lauterbach „die Privatisierung der Pflege ein Fehler war“. So sind es gerade die kleinen privaten Dienste, welche die Versorgung jahrelang sicherstellten. So eine Aussage ist für jene Einrichtungen, oft von ehemaligen Gemeinde- oder Krankenschwestern und Altenpfleger*Innen unter Einsatz privater Mittel gegründet und aufgebaut, ein Schlag ins Gesicht und Zeugnis mangelnder Wertschätzung!

Wie schnell sind die Leistungen der Pflege in der Pandemie vergessen – das zeigt deutlich den fehlenden Stellenwert die Pflege für die Politik!

Hören Sie zu und setzen Sie sich für uns ein, das ist Ihre Aufgabe.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Der Landesverband Hauskrankenpflege Sachsen- Anhalt e.V.”