Politik
Vernichtendes Branchenurteil zur Pflegereform
Das Votum fällt vernichtend aus. Arbeitgeber, Pflegekräfte und Angehörige kritisieren die im Bundeskabinett beschlossenen Pflegereform in deutlichen Worten. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe wertete die Vorlage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schlicht als „Wahlkampf“. Präsidentin Christel Bienstein kritisierte, an der Unterbezahlung und der Überlastung der Pflegekräfte werde der Entwurf nichts ändern. Weitere Akteure der Branche äußerten sich ähnlich kritisch.

„Diese Pflegereform ist eine Mogelpackung für Pflegeversicherte, eine Zumutung für Pflegeunternehmen und eine schwere Bürde für die Gesellschaft und vor allem für die junge Generation“, sagt Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des VDAB. „Die Zumutung für die Pflegeunternehmen ist der vollkommene Einstieg in die Planwirtschaft. Denn der Gesetzgeber schreibt vor wieviel Personal einzustellen ist und was diesem bezahlt werden muss. Die Kassen bestimmen darüber hinaus die Preise für professionelle Pflege. Da wirkt es wie Hohn, wenn Minister Spahn in seiner heutigen Pressekonferenz betont, dass es weiter Investitionen von Unternehmen braucht, um den Pflegebedarf der Zukunft zu decken.“
Ähnlich sieht es der Präsident des bpa Arbeitgeberverbandes Rainer Brüderle: „Eine starre Tarifbindung von privaten Unternehmen in der Pflege nimmt diesen jegliche Luft zum Atmen. Wenn Personaleinsatz, Preise, Qualität und nun auch noch die Löhne reguliert sind, dann brauchen Unternehmen klare Regelungen zu unternehmerischen Wagnissen. Ohne diese wird es sich kaum mehr lohnen, Leistungen in der Pflege anzubieten. Und diejenigen, die sich weigern, sich in ein starres Tarifkorsett zwingen zu lassen, müssen ohnehin ihre Existenz aufgeben“.
Ungewöhnlich deutliche Kritik kommt auch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. Geschäftsführerin Nora Schmidt erklärte, Pflegebedürftige hätten auch weiterhin „keine Sicherheit, nicht über ihre finanziellen Grenzen hinaus belastet zu werden“. Schmidt bezweifelte außerdem die Wirksamkeit der Tariflohn-Vorschrift: Es bleibe unklar, ob und wie die Regelungen griffen. Zudem solle erst im Jahr 2025 geprüft werden, ob die Löhne in der Altenpflegebranche tatsächlich gestiegen seien.
„Wenn die Regierungskoalition ihr Gesetzesvorhaben in der geplanten Weise umsetzt, dann können sich viele Versicherte die ambulanten Pflegeleistungen nicht mehr leisten, die sie derzeit erhalten“, befürchtet Andreas Kern, Vorsitzender des bad.
„Die dringend notwendige Stärkung der ambulanten Pflege bleibt aus“, sagt Dr. Uwe Martin Fichtmüller, Hauptgeschäftsführer des ASB. „Wir sind von einer Gleichbehandlung der ambulanten und stationären Pflege noch weit entfernt. Eine Begrenzung des Eigenanteils in der ambulanten Pflege wurde erst gar nicht in Erwägung gezogen.“
Als Schritt in die richtige Richtung wertet hingegen der Caritasverband für die Diözese Mainz die Reformschritte in der Pflege, die die Bundesregierung kurz vor dem Ende der Legislaturperiode doch noch auf den Weg gebracht hat. „Eine Tariftreueregelung ist genauso zu begrüßen wie eine Bezuschussung der Eigenanteile der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen“, so Diözesancaritasdirektorin Regina Freisberg. Zu befürchten sei, dass eine einseitige Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen der stationären Pflege die Attraktivität der häuslichen Pflege schmälert. „Diese Gefahr besteht, weil Verbesserungen der häuslichen Pflege nach dem bisher bekannt gewordenen Stand der Beratungen nicht vorgesehen sind“, so Freisberg. Zu den Verlierern könnten auch die Wohn-Pflegegemeinschaften gehören.
Das Bundeskabinett hatte am 2. Juni eine Pflegereform beschlossen, die die Bezahlung von Pflegekräften nach Tarif gesetzlich verankern soll. Demnach dürfen Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste ab September 2022 nur Versorgungsverträge mit der Pflegeversicherung abschließen, wenn sie ihre Beschäftigten nach Tarifverträgen oder mindestens in entsprechender Höhe bezahlen. Der entsprechende Gesetzentwurf soll noch im Juni dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden.
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