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Fachverbände warnen vor Kahlschlag in NRW

Die Verbände wig Wohnen in Gemeinschaft und IPV
Ambulanter Intensivpflegeverband Deutschland e.V.
fordern von der NRW-Landesregierung in einer
gemeinsamen Stellungnahme den "WG-feindlichen Entwurf
zur WTG-Novellierung" zurückzuziehen.

- IPV-Präsident Stephan Kroneder und wig-Vorstand Claudius HasenauFotos: IPV und wig

Mit großer Sorge und Unverständnis betrachten der
Fachverband für Wohngemeinschaften wig Wohnen in
Gemeinschaft e.V. und der IPV Ambulanter
Intensivpflegeverband Deutschland e.V. den aus dem
Sozialministerium von Karl-Josef Laumann stammenden
Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Wohn- und
Teilhabegesetz für NRW. In der ersten gemeinsamen
Stellungnahme ihrer Fachverbände formulieren die
Vorstände Claudius Hasenau (wig) und Stephan Kroneder
(IPV) vehemente Bedenken: "In dem geplanten
NRW-Heimgesetz, das sich momentan in der
Verbändeanhörung befindet, werden Wohngemeinschaften
für schwer kranke Menschen gezielt aus dem Kreis von
Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen
ausgeschlossen, indem postuliert wird, dass die
Nutzerinnen und Nutzer in Person ",interaktionsfähig‘
sein müssen."
Die Kritik entzündet sich besonders an dem
"Begriffsungetüm der Interaktion", so die Fachverbände.
"Die Wohn- und Lebensform der Wohngemeinschaft darf
ihre Tür für schwer kranke Menschen nicht
verschließen," sagt der wig-Vorsitzende Claudius
Hasenau. IPV-Präsident Stephan Kroneder ergänzt: "Keine
Nutzergruppe darf ausgeschlossen werden: Alle Menschen
haben das Wahl- und Entscheidungsrecht, die Versorgung
zu wählen, die sie oder ihre Angehörigen wünschen, weil
sie sie für sich selbst oder ihre Anvertrauten für gut
und richtig halten. Dies kann und darf ihnen nicht
genommen werden."

In seiner Zeit als Pflegebevollmächtigter des Bundes
stellte der jetzige NRW-Pflegeminister Laumann die
These auf, "alle Beatmungspatienten gehören in Heime
oder Krankenhäuser". Dieses Dogma lehnen wig und IPV
kategorisch ab. Stephan Kroneder: "Die Realität zeigt
doch, dass Wohngemeinschaften dank ihres familiären
Charakters als Lebensort für schwerstpflegebedürftige
Menschen deutlich besser geeignet sind als Heime. Dies
gilt insbesondere für die vielen jüngeren Betroffenen,
die ohne diese Alternative automatisch in
vollstationäre Einrichtungen der Altenhilfe abgeschoben
werden müssen."

Beide Verbände verweisen insbesondere darauf, dass
selbst bettlägerige und beatmete Patienten miteinander
zusammenleben können und wollen. Stephan Kroneder: "Ans
Bett fixiert zu sein oder beatmet zu werden, schließt
ein Teilnehmen an Gemeinschaft doch nicht aus. Nach der
jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit
intensivpflegebedürftigen Menschen sehen wir uns durch
wissenschaftliche Studien bestätigt, wonach nicht
wenige der angeblich wachkomatösen Patienten an einem
Locked-in-Syndrom leiden, das überwunden werden kann."
Und wig-Vorstand Claudius Hasenau ergänzt: "Gerade Herr
Laumann spricht doch immer davon, dass jeder
entscheiden und auswählen können muss, in welcher
Wohnform er leben möchte. Warum will er dieses
Wahlrecht jetzt in NRW einschränken?"

Beide Fachverbände warnen davor, dass die
Gesetzesänderung – sollte sie so verabschiedet werden –
"völlig überflüssige Rechtsunsicherheiten" schaffen
werde. Dies eröffne Grauzonen für Interpretationen, die
im Ordnungsrecht völlig deplatziert sind. Wig-Vorstand
Claudius Hasenau fragt: "Was heißt Interaktion? Was
heißt Ziel? Und was heißt regelmäßig?". Sein
Fachverband sieht diese Anhäufung unbestimmter
Rechtsbegriffe kritisch. Rechtsanwalt Dr. Lutz H.
Michel, der wig seit vielen Jahren als Justiziar
begleitet, unterstreicht: "Das Ordnungsrecht –
insbesondere das Ordnungsrecht der Betreuungswohnformen
– verlangt klare Worte: Weder den Anbietern noch den
WTG-Behörden ist mit Vagheit und neuen Begriffen
gedient. Interaktion ist kein Rechtsbegriff. Es handelt
sich um einen in der Soziologie und Psychologie
geläufigen Begriff, der ein aufeinander bezogenes
soziales Handeln zweier oder mehrerer Personen oder die
Wechselbeziehung zwischen verschiedenen
Handlungspartnern bezeichnet. Was genau soll das für
Wohngemeinschaften heißen?".

Rechtsanwältin Anja Hoffmann, die den IPV und seine
Mitglieder rechtlich berät, ergänzt: "Mögliche
Regularien in oder Kontrollmöglichkeiten von
Wohnformen, in denen intensivpflegebedürftige Patienten
versorgt werden, können wesentlich effektiver im
Leistungserbringungsrecht anstatt im Ordnungsrecht
verortet werden. Dort lassen sich im Rahmen der
rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsträgern und
Leistungserbringern gesetzliche oder vertragliche
Regelungen vorgeben oder vereinbaren, um den
anscheinend vom Gesetzgeber beabsichtigten besseren
Schutz und die Kontrolle dieser Klientel zu
gewährleisten."

Bundeskonferenz Wohnen in
Gemeinschaft in Berlin

Dem Thema Wohnen in Gemeinschaft widmet sich erstmals
eine von Vincentz Network ausgerichtete Konferenz am
26. September in Berlin. Ambulant betreute
Wohngemeinschaften sind mittlerweile sowohl für Nutzer
als auch für Unternehmer interessant. "Auf der
Konferenz kommen führende Köpfe der ambulanten Pflege
und der Wohngemeinschaftsszene zusammen", kündigt der
Chefredakteur der Zeitschrift Häusliche Pflege, Lukas
Sander, an. In der Bundeshauptstadt werden laut Sander
aktuelle Entwicklungen und die Zukunft der
Versorgungslandschaft diskutiert.  Der Verband wig
(Wohnen in Gemeinschaft) wird ebenfalls vor Ort sein.
Dessen Vorsitzender Claudius Hasenau wird über die
Qualität und Kosten aus Sicht der Leistungserbringer
referieren und sicherlich auch über die aktuelle Lage
in Nordrhein-Westfalen sprechen und mit Vertretern der
Kassen über die Versorgungsform diskutieren.
Anmeldungen unter: vincentz-akademie.de/Ambulantes-Management/Bundeskonferenz-Wohnen-in-Gemeinschaft-2018